Was zählt, ist die Familie!

“Was zählt, ist die Familie!” - wunderbar geraten

Gehen oder bleiben? Diese Frage stellt sich auch Nick Cristano (Nikolaij Janocha). Allerdings geht es nicht etwa um eine gescheiterte Beziehung, sondern um eine Beförderung, deretwegen der junge Mann von Hoboken an der US-amerikanischen Ostküste nach Seattle an die Westküste umziehen müsste. Nick ist Anfang dreißig, ungebunden – was könnte ihn also zurückhalten? Um die Klärung dieser Frage geht es vordergründig in Joe DiPietros warmherzigem Stück „Was zählt, ist die Familie!“, zu sehen seit dem 26. April im Alten Schauspielhaus in einer Inszenierung von Intendant Axel Preuß. Im Hintergrund werden aber noch etliche andere Themen verhandelt. Gelacht werden darf dabei, und berührend ist es obendrein.

Denn Nick hat nicht nur einen Grund, der ihn in Hoboken halten könnte, es sind genau genommen vier: seine Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits, Aida und Frank Gianelli (Susanne Heydenreich und Uwe-Peter Spinner) und Emma und Nunzio Cristano (Barbara Krabbe und Reinhold Weiser). (…) Dass die Welt und die Dinge sich ändern, ob man das nun möchte oder nicht, das wird im Stück aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Immer liebevoll, mit Humor und ohne wirkliche Wertung. Das Publikum darf alle Figuren verstehen und mit ihnen sympathisieren, obwohl die Meinungen durchaus kontrovers sind. Und so bezieht sich Aidas Lieblingssatz am Ende nicht nur auf ihr stets köstliches Essen: „Es ist alles ganz wunderbar geraten.“

“Was zählt, ist die Familie!” - Nuancen fein herausgearbeitet

Fast wäre die Premiere von Joe DiPietros „Was zählt, ist die Familie“ am Alten Schauspielhaus über eine italienische Auswandererfamilie geplatzt. Uwe-Peter Spinner sprang fünf Tage vorher für einen erkrankten Kollegen ein und übernahm die Rolle des Großvaters Frank. Eine kleine Meisterleistung bei der kurzen Probenzeit – Chapeau!

(…) Viel Menschlichkeit und nicht zuletzt eine Momentaufnahme einer sich in den Neunzigerjahren mehr und mehr distanzierenden Gesellschaft in den Vereinigten Staaten. (…) Intendant Axel Preuß hat die Nuancen fein herausgearbeitet. Setzt Lichtspots für Monologe und Rückblicke. Lässt Schuldgefühlen seitens Nick und den Sorgen der Großeltern, etwa Reinhold Weisers Opa Nunzio, der seinem Enkel seine schwere Krankheit verschweigt, damit dieser seinen Weg gehen kann, ihren Raum. (…) Gerade das charmant Unaufgeregte der Inszenierung (lässt sich) genießen. Das Familiendilemma der räumlichen Trennung ist schließlich kein ur-amerikanisches und auch nicht auf italienische Auswanderer begrenzt.

“Was zählt, ist die Familie!” - Pointen und ernstere Einsichten im Gleichgewicht

Wie kommt man von der Familie los, wenn sie einen nicht loslassen will? Das zeigt das Alte Schauspielhaus jetzt in Joe DiPietros Komödie „Was zählt, ist die Familie!“. (…) Im Alten Schauspielhaus hat Tom Grasshof (Ausstattung) sehr gekonnt ein amerikanisch-italienisches Interieur der 1990er Jahre auf die Bühne gestellt. (…) Aida (souverän: Susanne Heydenreich) drängt der Familie geradezu manisch alle paar Minuten italienische Speisen auf. Uwe-Peter Spinner spielt ihren Gatten Frank wandlungsfähig als erst strengen, später aber einsichtigen Großvater, und Barbara Krabbe und Reinhold Weiser überzeugen als das andere Großelternpaar. (…) Das alles kommt pointenreich daher und ist doch zugleich ein Lehrstück über die Tücken der Lebensform Familie. (…) Der Schauspielbühnen-Intendant Axel Preuß hat die Komödie so inszeniert, dass Pointen und ernstere Einsichten im Gleichgewicht bleiben. Man erwartete als Zuschauer eine Komödie und wurde nicht enttäuscht, ist aber überrascht, dass die konflikthaften Dialoge von Enkel und Großeltern anregen, über eigene Familienbefindlichkeiten zu grübeln. Besseres lässt sich über einen Theaterabend nicht sagen.